Die fünfte Dimension der Erfahrung entwickelte sich in der griechischen Antike sowie in Indien und China, als die Vernunft als geistiges Vermögen entdeckt wurde, das alle anderen Arten der Erfahrung überblickt. Da der griechische Begriff für Vernunft “nous” lautet, können wir diese Transformation der Erfahrung die noëtische Wende nennen.
Die noëtische Wende

Im antiken Griechenland ging die Wende zur Selbstreflexion nahtlos in die nächste Transformation über, die noëtische Wende. Mit dieser Wende verlagerte sich der Ursprung des Wissens auf die menschliche Seite. Dies wird gewöhnlich als der “Übergang vom Mythos zum Logos” bezeichnet. Dieser Übergang vollzog sich schrittweise, beginnend mit Solon, fortgesetzt von den Vorsokratikern und vollendet von den Sophisten.
Die Sophisten waren die eigentlichen Begründer des rationalen Denkens, denn sie entwickelten dessen zentrale Methoden – wie Grammatik, Logik, Rhetorik und Allgemein-Bildung – und verbreiteten sie in ganz Griechenland. Die Bewegung erreichte ihren Höhepunkt mit der Synthese von Platon. In seiner Politeia, dem Buch über den Stadtstaat und den Begriff der Gerechtigkeit, analysierte Platon die noëtische Wende in seinem Höhlengleichnis.
Das politische Leben
Die Noëtische Wende schuf auch ein einzigartiges Modell des öffentlichen Lebens. Dieses Modell ist eng verbunden mit dem Stadtstaat, der griechischen Polis. Im Wesentlichen bedeutet die politische Lebensweise: Ersetzen der ewigen Wahrheiten der heiligen Mythen durch fehlbare Meinungen, die auf gemeinsamen methodischen Praktiken beruhen. So ersetzte die politische Kultur den primären Konsens durch einen sekundären Konsens. Ähnliche Entwicklungen finden wir zeitgleich in China und Indien.
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